Ut mine Festungstid

Mystisches, Schmerz, Trauer, Depression, Angst, Abschied, Tod
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Hayk
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Ut mine Festungstid

Ungelesener Beitrag von Hayk »

(Titel geliehen bei Fritz Reuter, Heimatdichter)

Gestern noch auf hohem Rossen?
Nein, ich bin kein kühner Reitersmann.
Doch das Leben habe ich genossen -
herrlich wars, im Amazonenzauberbann
Frühlingsblütendämpfe zu genießen,
einen süßen Schatz im Arm zu halten,
Wachtelschlag und Hahnenschrei bei Sonnenaufgang zu begrüßen,
mit homerischem Gelächter beim Zitronenfalten
Wein vom Rhein zuerst ins Glas, dann in den Schlund zu gießen.

Unverhofft, spricht Volkes Mund, kommt oft!
Stundenlang musst ich auf einem unbequemen Stuhle hocken,
hundert dumme Fragen, einem Sturzbach gleich,
quälten meine Ohren, klopften mir die Sinne weich.
Meine Kehle, meine Lippen wurden trocken,
mein Verstand verriet mir, dass ich mich total verzofft.
Durch Verrat und Tücke wurde ich, der Festival genannt,
von dem Stasi nach fünf Jahren als Geheimagent erkannt,
mit dem Urteil - fünfzehn Jahre Zuchthaus Bautzen - gnadenlos verbannt.

Fünfmal tausend hoffnungslose Tage
sollten Mauern, Gitter mich umgeben.
Lieber Gott, ich hab da eine Frage:
Wie soll ich das Elend überleben?

Einmal nur am Tage durft ich an die Luft,
nachts, da wälzt ich mich in der Matratzengruft,
träumte von Liebe, Freiheit, zartem Blumenduft,
wachte auf durch weit entferntes Kinderlachen -
Dank sei dir, du gnädger Gott, durch solche Sachen
wolltest du gewiss mein Leben leichter machen.

Mir schwanden, ich spürt es, der Mut und die physischen Kräfte,
des Lebens lebendige Pulse und quirlige Säfte
versiegten, je länger die Knechtschaft hier dauert
und Brüderchen Hein seine Opfer frech grinsend belauert.

Mir schien, die Welt sei grau in grau gemalt,
für alle Sünden, die ich je begangen,
so glaubte ich, hab ich genug bezahlt
und übermächtig wurde mein Verlangen
nach frischen Farben, süßen Düften und Musik.
Ach kämen doch die schönen Tage bald zurück,
ach könnte ich doch Hand in Hand mit dir, mein Schatz,
spazieren gehn - du kennst den Ort, du weißt den Platz,
wo wir uns beide fühlten wie im Paradies,
ein Engel uns den Rosenpfad zum Himmel wies.

Ein Traum, geträumt am hellen Tag, ein süßer Traum,
und ringsumher nur grau in grau, kein Strauch, kein Baum,
der grünbelaubt zum Himmel seine Äste streckt -
nur in des Hofes hintrer Ecke, ganz versteckt,
hab ich ein blaues Blümchen ganz erstaunt entdeckt.

Ich ging, das Blumenwunder näher zu besehn,
in jenes grauen Hofes Ecke, bückte mich
und hört es wispern: Bitte, bitte, lass mich stehn,
ich blüh nur heut einmal und dufte nur für dich.

Am nächsten Tag, es war im Wonnemonat Mai,
betrat der Oberleutnant Jahn mit festem Schritt
die Zelle, sah mich an und brummte: „Kommse mit!
Für sie ist Schluss!“, und ich verstand nur: Frei! Frei! Frei!

Das LI spricht von seiner "Festungstid" in der Sonderhaftanstalt des Staatssicherheitsdienstes der DDR in Bautzen II, die nach 33 Monaten durch einen Agentenaustausch am 10./11. Mai 1982 endete. Einen autobiografischen Hintergrund zu vermuten, ist völlig abwegig. Genauso abwegig ist die Vermutung, die "blaue Blume" hätte einen romantischen Hintergrund. Genauer betrachtet war sie blau-gelb, eine Iris/Schwertlilie.
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