Als Omas Herz aufhoerte zu schlagen

[Brigitte]

ALS OMAS HERZ AUFHÖRTE ZU SCHLAGEN
© Brigitte

Es war an einem Sonntagnachmittag
zu Frühlingsbeginn,
als Omas Herz aufhörte zu schlagen,
zuhause, nach einundneunzig Jahren.
Viele Krähen kamen in den Garten
und setzten sich auf den Rasen,
dorthin, wo ihre Futterstelle war,
wo sie jahrelang Speisereste erhielten.

In der Luft hatten sie noch gekräht;
dann saßen sie betroffen herum,
als hielten sie schweigend Trauerwache,
als warteten sie auf den Leichenschmaus,
als wären sie bereit,
Omas Seele in den Himmel zu tragen.
Meine Mutter gab ihnen ein Stück Kuchen.
Dann erhob sich der Schwarm.
Trug er Omas Seele fort?

Ich schaute den Vögeln nach, bis sie am Horizont
in der untergehenden Sonne verschwanden.
Erst am nächsten Morgen kamen sie zurück,
um viele weniger, als am Tag zuvor.
Nie waren so viele Krähen zugleich da,
als an dem Tag, wo Omas Herz aufhörte zu schlagen,
um dankschuldig ihre Seele in den Himmel zu tragen.
Zur Todesminute blieb die Wanduhr stehen,
ihre Batterie war leer.

*