Sehen, Narren - Gracian

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Anaximandala
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Sehen, Narren - Gracian

Ungelesener Beitrag von Anaximandala »

Sehen (230)

Offnen Auges vorwaerts gehen,
niemand glaubt sich selbst betroffen,
doch nicht alle, welche sehen,
haben ihre Augen offen.

Manche moegen um sich blicken
ohne, dass sie sehen koennen,
waehrend sie sich doch anschicken,
klare Sicht ihr Eigen nennen.

Hinter Sachen spaet zu kommen,
schafft nicht Hilfe, laesst trueb werden,
doch erkennt, wer so benommen,
keinen Ausweg draus auf Erden.

And're fangen an zu sehen,
wenn zu sehen nichts geblieben,
Hab und Gut in Flammen stehen,
sie verlieren, was sie lieben.

Schwer, Verstand zu allen jenen,
die nicht Willen haben, bringen,
schwerer ist es, Willen denen,
die nicht denken, aufzuzwingen.

Solche Blinden sind umgeben
vom Gelaechter der Gefaehrten,
weil sie nun in Taubheit leben,
bleiben sie die Unbelehrten.

Sind zu taub, um es zu hoeren,
fangen drum nicht an zu sehen,
schlieszlich muesst sie etwas stoeren,
das sie schlichtweg nicht verstehen.

Niemals mangelt es an Geistern,
die den Schlummer Blinder lenken,
und ihr Dasein deshalb meistern,
weil sie draus nen Vorteil denken.

Unglueck haett ein Pferd auf Erden,
gaeb ein Blinder ihm das Futter,
denn es wuerde fetter werden;
Laesst man's waehlen, frisst es Zucker!


Narren (201)

Wer's scheint auch zu den Narren zaehlt,
Wie jeder Zweite, der's nicht tut,
Und leider hat die Welt gewaehlt:
Sie folgt ihr nach, der Narrenflut.

Die Narrheit lief mit ihr weit fort,
Und Weisheit, falls sie existiert,
Ist Torheit, in nem schoenem Wort,
Die eigentlich nur irritiert.

So ist der allergroeszte Narr,
Wer selber sich fuer keinen haelt,
Dem Rest der Menschheit jedoch klar,
Die Narretei gern unterstellt.

Doch reicht es nicht zum weise sein,
Auch sieht man nett halt danach aus,
Denn vor sich selbst ist's nichts als Schein,
Viel sagt's, nur nichts zur Weisheit aus.

Es weisz, wer es nicht von sich denkt,
Nur sieht nicht, wer es nicht erkennt,
Dass allen and'ren Seh'n geschenkt,
Und doch sich selber sehend nennt.

Nun ist voll Narren zwar die Welt,
Kein Narr erkennt, dass er es ist,
Da jeder sich fuer sehr klug haelt,
Wenn Narrheit ihm den Kopf zerfrisst.



Aus Handorakel und die Kunst der Weltklugkeit von Baltasar Gracian, in deutsche uebertragen von Arthur Schopenhauer.
Das Handorakel Gracians gilt als das Werk, das Schopenhauer Zeit Lebens am meisten beeinflusst hat, da er seinen eigenen Pessimismus dort wiedergefunden hat.
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