Der alte Goethe (I)

Liebe, Freude, Freundschaft und Geselligkeit
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Germany Marc Donis
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Der alte Goethe (I)

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Der alte Goethe

KAPITEL I - DAS WARTEN
Die Welt ernüchtert in dem Bogen,
der Herbste kommt, als wär’s ein Meer,
auch ist das erste Blatt verflogen,
wie lange ist der Lenze her?

So liegt der Regen hier zulande,
der Kummerfreude fern hinaus,
der Walde gleicht dem Föhrenstrande,
so ruht gar diesem im Gebraus.

Die Sonne neigt sich, müde Lichter,
der Engel schwingt die Flügel, echt,
der Wald hat tausende Gesichter,
zumal der Abend Schmerzen schwächt.

Ein Dichter sitzt so friedvoll innen
und blickt zum Fenster so empor,
ein Anzug trägt er aus den Linnen
und schaut nach draußen zu dem Tor.

Wie Tränen rollt der Regen nieder,
auf diese Scheibe aus dem Glas,
im Garten schwankt der nackte Flieder,
im Nebelkleid und förmlich blass.

Er seufzt mit Stille und verdrossen
und blickt dann wieder in die Flut,
er wartet lieb auf Freund, Genossen,
im Ofen knistert wärmste Glut.

Es riecht im Zimmer wie nach Pfeifen,
nach Glut und Tabak und dem Rauch,
sein Weinglas mag er sehr umgreifen
und tut es dann am Ende auch.

Er lässt das Glas zum Munde führen
und trinkt versunken diesen Wein,
er will ihn schmecken und auch spüren,
schenkt er sich erneut ihn ein.

Die Farbe glänzt wie feinste Tinte,
so wahrlich lieb im Glas verteilt,
der Duft, der gleicht der Hyazinthe,
gar welcher sanft den Mann ereilt.

Der Raum ist einfach schwarz gehalten,
kein Licht durchläuft das Glase, mild,
verstaubt sind sie, aus Blei, die Alten,
am Tresen hängt ein Ebenbild.

Verrußt nun hängt es, förmlich lange,
das Gemälde des Patron,
ein Riss und Fleck durchzieht die Wange,
wie lang hängt das Bilde schon?

Darunter stehen vertraute Kerzen
und glimmen somit in dem Schmelz,
es stirbt zuerst das Wachs, dann Herzen,
bedeckt mit Staub, dem grauen Pelz.

So leuchten diese einfach müde
und tauchen Raum in liebsten Schein,
der Wirte spricht auf einmal rüde,
räumt er doch die Gläser ein.

WIRT:
„Du bist ein Fremder mitten Reisen,
nicht zur Kur – Du bist ein Gast,
mag ich dir als Freund erweisen,
sei gegrüßt in unsrem Vlast*.

Brauchst du Hilfe, hast du Fragen,
komm‘ zu mir, ich geb‘ dir Rat,
bist du Deutscher, mag ich fragen,
hab‘ ich Antworten probat.

Ich kenn‘ die Stadt wie meine Tasche,
wirklich gründlich, wahrlich breit,
sah ich Freude, Kummer, Asche,
lauf‘ ich somit mit der Zeit.

Kenn‘ ich alles – Jede Ecken,
kenn‘ ich jeden hier im Kraj**,
weiß ich Orte zum Verstecken;
Trink‘ den Wein und Gast du sei!“

DICHTER:
„Weiß ich das so sehr zu schätzen,
vielen liebsten – Besten Dank,
werd‘ ich ruhen und gar nicht hetzen,
so vorzüglich schmeckt der Trank.

Kommt mir das so sehr entgegen,
liebster Geiger, spiel‘ ein Lied,
auf die Freundschaft und den Segen,
auf den Frieden, der uns zieht!“

Die Gasthoftür wird geöffnet und
ein durchnässter Briefbote betritt
das Gasthaus, sieht den Dichter
und überreicht ihm einen Brief.
Der Wirt sieht den Boten und
spricht ihn auf Tschechisch an.


WIRT:
„Nun ist dir kalt nach diesem Schauer,
du bist wirklich so durchnässt,
ach, bleibe hier auf lange Dauer,
bis die Kühle dich verlässt.

Bis die Sachen sind dann trocken,
kommst du eben aus dem Süd‘,
alles gut, du musst nicht stocken,
musst du ruhen, du bist so müd‘.“

Lässt sich nun der Postbot‘ nieder,
trieft die Kleidung, Haar und Haupt,
schüttelt sich der Mann still wieder,
als nach Luft er einfach schnaubt.

POSTBOTE:
„Weißt du, Wirt, ich mag dir danken,
draußen ist es kalt wie Frost,
schmerzen Glieder, meine kranken,
bring‘ ich trotzdem allen Post.

Zwischen Kälte und den Tritten,
zog ich durch das Tal und Wald,
– Bin ich nur hierhergeritten,
um zu machen hier den Halt.

Liebster, magst du mit mir teilen,
etwas Wärme, Brot und Bier,
werde ich hier bloß verweilen,
bis die Glocke schlägt um vier.

Sind die Sachen erst dann trocken,
– Reite ich erneut so fort,
reicht mir Bier, auch Brot und Brocken,
– Esse ich im andren Ort.“

Sagt der Bote, der betuchte,
schaut er sich im Gasthaus um,
der zum Schutze es besuchte,
treibt sein Blicke förmlich stumm.

Sieht er auch den Dichter sitzen,
der vertieft mit Feder schreibt,
hört man auch den Kiele ritzen,
welcher sich auf Zetteln reibt.

Kommt der Wirte von dem Tresen,
trägt er Bier und Brot vom Pult,
reicht dem Boten seine Spesen,
dankend nimmt er sie mit Huld.

Nimmt er Kost und Trank entgegen,
was er einfach so begehrt,
immer nass vom dichten Regen,
er das Mahle wohl verzehrt.

POSTBOTE:
„Ausgezeichnet ist der Teller,
bestes Brot, das Bier ist stark,
stammt es wohl aus deinem Keller,
zieht wie Feuer durch das Mark.

Magst du mir den Kelch einschenken?
Schmeckt das Biere mild doch zart,
werde ich an dich so denken,
wenn durch Regen klirrt mein Bart.“

WIRT:
„Liebster Freund, du musst nicht danken,
du bist Tscheche – Bruder – Gast,
hör‘ die Lieder – Mythen ranken,
magst du lauschen – Ohne Hast.“

Während nun die Männer reden,
hört der Dichter kein Gespräch,
lobten beide schließlich jeden,
spürt beim Lesen er die Schwäch.

Hat er nun ganz ohne Wissen,
mit dem Messer in der Hand,
diesen Brief so aufgerissen,
liest er nun, die Tinte stand.

Ist er nun in sich gesunken,
eine Maske zieht sich breit,
im Kamine tanzen Funken,
blickt zu diesen mit der Zeit.

Hat er sich so sehr erhoben,
trinkt den Schluck vom roten Wein,
war das Gitter weggeschoben,
wirft den Brief er einfach ein.

Scheint das Feuer es zu fressen,
diesen Zettel mit der Schrift,
hat der Goethe es vergessen,
dass er Lenau hier so trifft.

Stand auf diesem nassen Blatte,
auf dem viel zu großen Platz,
weder Hoffnung noch ein Rate,
einfach ein zur kurzer Satz;–

„Lenau, Freund, ich mag dich beten,
bitte hab‘ doch noch Geduld,
werde ich mich wohl verspäten,
ist es doch des meines Schuld.“


Berlin-Biesdorf-Süd;
26.03.2024 – 28.03.2024


* Vlast = tschechisch für Heimat; Vaterland
** Kraj = Verwaltungseinheit in Tschechien
Sie wünschen uns Missgunst, aber die Kunst ist mit uns...
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